denkblase


30. März 2009
denkblase: Ich kenn den DJ

Die "Ich-steh-auf-der-Gästeliste"-Prozedur abwickeln, mit vollem Ernst, bei zwei Euro Eintritt, das fühlt sich an wie früher, beim Kaufmannsladen spielen.

9. Juni 2008
denkblase: schnakenstiche

Eben flogen die ausgedorrten Felder noch vorbei, nun können wir die Mohnblumen und die Kornblumen erkennen und die weißen Blumen, die sicherlich auch einen Namen haben. Radfahrer überholen uns rechts, und der Sendersuchlauf pickt zwischen den ganzen Hits (70er, 80er, 90er, das Beste von heute) endlich Radio eins heraus.
Wir lassen die sonnenwarmen Betonwege zurück, die Kiefern, das Wasser, die kleine Fähre, die Insel, die Klause, die drei Gäste neben uns, Vollbart und Schnurrbart und knappe Shorts, ihre bleichen haarigen Rücken, ihr gestreifter Bikini, die unregelmäßige Haut, die nachlässigen Haare, das Gespräch in einem Dialekt, der nicht direkt Berliner war, ihre Ruhe, ich stelle mir vor, dass sie alte Schulfreunde sind, gottseidank haben sie sich gehabt, bei der Wende volljährig geworden, nach ein paar Jahren in der Fremde (Uni, Agentur, Fremdenlegion) wohnen sie jetzt gemeinsam in einem heruntergekommenen Haus, in dem es durch die Fenster zieht und von den Rahmen springen die obersten Lackschichten ab, sie halten auch ein paar Hühner, und unter der Pergola steht die Hollywoodschaukel mit orange-braunem Blumenmuster, auf dem wachstuchgedeckten Tisch drei braune Bierflaschen und ein grüner Plastikaschenbecher mit einem verblichenen Werbeaufdruck, in dem die Frau ihre F6 ausdrückt, sicher raucht sie, die Stimme, und ich will nicht weg aus dieser Stadt, deren Hochhäuser am Kornährenhorizont zu sehen sind, ich will hier doch noch nicht weg, zumindest nicht im Sommer, noch nicht in diesem Sommer.

25. Februar 2008
denkblase: Sonntagabend

Die Sehnsucht nach Leben ist plötzlich so groß, dass ich beinahe auf den Balkon gehe, um eine zu rauchen.
Aber dann reicht es nur für youtube.

12. September 2007
denkblase: Athen Nowosibirsk Dacca Fuzhou

citybank
Screenshot Citibank-Geldautomat

24. Mai 2007
denkblase: Dream Girl

klick

14. März 2007
denkblase: ...

Die Stadt ist klein, sie liegt an keinem ernstzunehmenden Fluß, sie hat viele Maschinenbaustudenten und deshalb Kneipen, die Hobbit oder Hotzenplotz heissen. Am Wochenende fällt die Landbevölkerung zum Shoppen ein, bauchfrei und mit verspiegelten Sonnenbrillen.
Die dort leben, sagen mir, es sei ein Dorf.
Immer wenn ich dort bin, fühle ich mich fast wie zu Hause.

Berlin ist anspruchslos. Berlin verlangt nicht viel von mir. Ich brauche nicht komplett zu sein, Berlin ist es ja auch nicht. Deshalb bin ich gerne hier. Meistens.

Und es gibt Samstage, an denen ich im Café sitze und lese. Eine zeitlang gelingt es mir, die anderen Gäste auszublenden. Doch dann schlägt jemand mit der flachen Hand auf den Tisch, dass der langstielige Löffel im Milchkaffeeglas klappert, und ruft: „Sex now!“

Sein weibliches Gegenüber sieht nach manifester Körperschemastörung aus, hat sich in eine trotzdem noch zu enge Karottenjeans und die Karottenjeans in die Stiefel gequetscht und sieht ihn gebannt an.

„Sex now! Irgendwann muss Schluss sein mit dieser feinziselierten Handlung, dann muss es auch mal zum Punkt...“ Und dann wird seine Stimme wieder leiser, dass sie fast im Grundrauschen untergeht. Alles klar, hier wird das Treatment der neuen Mitte-Soap besprochen, mindestens.

Seine Haare sind sorgfältig zerstrubbelt, er trägt Germanistenbrille und einen Parka mit umpuschelter Kapuze. Vor ihm auf dem Tisch liegt die aktuelle Vogue und darauf ein Päckchen Ernte 23.

In den Augenblicken überkommt mich die Sehnsucht nach der utopischen Kleinstadt. In der nicht zwei Drittel der Bewohner die Energie von umgerechnet drei Atomkraftwerken zur sorgfältigen Selbstinszenierung verschwenden, bis auch der letzte Rest uncooler, unkontrollierter Authentitizät Echtheit ausgemerzt ist. Und in der Ernte 23 nur unironisch geraucht wird.

10. Februar 2007
denkblase: Am Fließband

Es wird einsam am Fließband.
Die Reihen lichten sich.
Die ersten Roboter stehen am Band. Sie wissen nicht, was sie tun, und das merkt man ihren Zwergen auch an. Sie müssen stets beaufsichtigt werden.
Als Spezialist bin ich als einer der Letzten übrig. Und damit einer der Nächsten, der gehen wird. Traurig bin ich darüber nicht.
Die Kollegen von den frivolen Zwergen machen keine Witze mehr. Stattdessen modellieren sie unnatürlich große Geschlechtsmerkmale und freuen sich, wenn die Zwerge von der Endkontrolle unbemerkt ausgeliefert werden.
Der Chef sagt, wir müssen mehr Qualität produzieren, wie die Leute in den Gartenzwergmanufakturen.
Wie das mit weniger Kollegen am Band gehen soll, erklärt er uns nicht.
Dafür sagt er, dass er unser Denken ändern muss.
Dass er in unseren Köpfen etwas aufbrechen muss.
Aber ich möchte nicht, dass er in meinem Kopf etwas aufbricht.
(Wenn, dann mache ich das selber.)

26. Januar 2007
denkblase: Die Stille nach dem Fliessband

Nein, nicht der Mond.

Workoholic werd ich nie, habe ich immer wieder und voller Überzeugung behauptet.
Doch nach den ersten Tagen am Fließband der Plastikzwergfabrik bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Es ist keine Gartenzwergmanufaktur. Wir produzieren keine Gartenzwerge, die man sich zu Repräsentationszwecken ins Regal stellen könnte. Nein, es sind kleine billige Plastikzwerge für den täglichen Bedarf. Niemand braucht wirklich Plastikzwerge, schon gar nicht unsere, aber viele erfreuen sich kurz an ihrem Anblick. Ich verstehe nicht warum, aber es wird wohl so sein.
Die Rohzwerge beziehen wir vom Marktführer, aber das sollen unsere Kunden nicht merken. Meine Arbeit könnte auch ein Roboter erledigen, doch solche Maschinen wären Spezialanfertigungen, in der Herstellung sehr teuer, viel teurer, als ich es bin. Bei meiner Arbeit geht es darum, den billigen Industriezwergen den Anschein von Individualität zu geben. Dazu biege ich bei jedem Exemplar die Arme und Beine etwas anders zurecht, ziehe die Zipfelmütze lang oder die Ohren. Manchmal male ich einzelnen Zwergen sogar eine rote Nase oder Sommersprossen, doch das kostet Zeit. Dafür muss ich abends dann etwas länger bleiben, um mein Plansoll zu erfüllen.
Das Gerede der Vorarbeiter, dass es bald den Zwerg 2.0 geben könnte, mit beweglichen Gelenken, den sich die Kunden dann selbst zurechtbiegen können, und der unser aller Untergang wäre, nehme ich nicht ernst.
Die Arbeit ist stressig, die Vorarbeiter machen Druck, aber nach einiger Zeit am Band geht es mir gut. Ich fühle mich gebraucht, ich habe keine Zeit zum Grübeln. Immerhin habe ich eine solide handwerkliche Ausbildung, und jetzt kann ich meine Fähigkeiten beweisen.
Die Kollegen sind nett. Die vom Nachbarband (frivole Zwerge) mag ich am liebsten, denn ihre Witze sind böse. Ich kann sie verstehen.
Während ich dem letzten Zwerg des Tages mit besonderer Sorgfalt Sommersprossen auftupfe, zähle ich in Gedanken das Geld, das ich am Tage verdient habe. Dann gehe ich den dunklen Weg zur S-Bahn und lege der Akkordeonspielerin schüchtern eine Münze in den Koffer. Die Töne erinnern mich an etwas, doch an was genau, fällt mir nicht ein.
Ich fühle mich leer. Ich fühle mich gut.
Und das macht mir Angst.

31. Oktober 2006
denkblase: Members of the Death Domain-Fold Superfamily revisited

„Given the relatedness of the POP1 PyD to that of ASC and the lack of a CARD in POP1, it could be envisaged that POP1 might bind readily to ASC and spoil the aforementioned ASC-mediated signalling complexes.“ (Mariathasan u. Vucic 2003)
Die postmodernen Philosophen haben zurückgeschlagen, und ich sitze über der Revanche für "Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity", die zeigen soll, dass auch in den Lebenswissenschaften Sinn keine Bedeutung hat.
Aber ich habe es durchschaut und mich umorientiert und mache mir jetzt nicht mehr Gedanken über die Funktion dieser Proteinfamilie, sondern widme mich stattdessen der gleichnamigen Band „Members of the Death Domain-Fold Superfamily“ - vergessene Pathosrocker der Spätsiebziger, denen völlig zu Recht kommerzieller Erfolg und Ruhm verwehrt blieben, und die ich exemplarisch für meine Arbeit über „Glamrock und seine retrospektive Rezeption im Spannungsfeld von Narzissmus, Selbsthass und Diddlmausverehrung“ ausgewählt habe. Gerade bei ihrem Titel „POPing the fire into the pyrin“ (Mariathasan u. Vucic 2003) lässt sich schon aus den ersten Synthieklängen des Intros ableiten, dass...
Jedoch, das Intro ist die Einschaltfanfare eines Windows-Notebooks, die zwischen den Bücherregalen echot, den Staub von den plastikblättrigen Hydrokulturen rieseln lässt und mich zurückruft in die Sonderbereichswelt von „ICEBERG, a CARD-only protein that has no orthologues in mice“ (Mariathasan u. Vucic 2003).

24. Oktober 2006
denkblase: Akademgorodok

Die Wände mit den Helden des wissenschaftlichen Totalitarismus, in Beton gekratzt. Die pekigen Terminals, die Zugang zum kybernetischen Weltnetz ermöglichen. Der Getränkeautomat, der mit entwaffnender Ehrlichkeit „kakaohaltiges Heissgetränk“ anbietet.
Ich kann nicht widerstehen und wärme meine Hände am geriffelten Plastik des Bechers.
Ein Leseplatz an der Fensterfront. Ich stecke meinen tragbaren Rechner an. Kein Robotron, aber fast. Die Akkumulatorenkapazität reicht aus, um einen Stromausfall zu überbrücken. Falls die Techniker es schaffen, das Elektrizitätswerk innerhalb von 14 Minuten wieder ans Netz zu bringen.
Es riecht nach Braunkohle und Linoleum und den Ausdünstungen von Pressspanplatten, die nirgendwo sonst auf der Welt zum Innenausbau verwendet werden. Außer vielleicht in Akademgorodok.
Säße ich in Akademgorodok, könnte ich Birken sehen.
Der Verkehr rauscht vorbei, ich denke an Pinguine.
Ein Quieken.
Nein, ein Quietschen. Es sind die Kunstlederflicken auf den Ellenbogen des verlotterten Gelehrten neben mir. Das rechte Brillenglas flaschenbodendick, das linke noch dicker. Das sakkadische Zucken seiner Pupille füllt fast die ganze Linse aus. Er blättert durch einen Haufen Journale über physiologische Chemie. Hoffentlich stößt er auf keinen Aufsatz zur lymphaterschen Formel. Der Gelehrte hat einen Rucksack bei sich, die Thermoskanne ist ungewöhnlich groß und glänzt matt. Der Gelehrte sieht entschlossen aus. Für den Al-Quaida-Ortsverein bliebe nicht mehr viel zu tun.
Ich schaue wieder auf die Straße und warte auf den guten Einfall.
Und auf die Pinguine.

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