22. Juli 2006
berlin: Trügerisches Idyll

Nachts auf dem Balkon* sitzen.
Die Blätter der Linde leuchten hellgrün. Gaslaternen sind Lebensqualität. Die Straße ist ruhig. Die Kapuzinerkresse ist schon groß geworden.
Kukka hören und die flackernde Kerzenflamme durch das Wasserglas betrachten.
Und dann pissen die drei besoffenen Russen direkt an meine Linde. Laut plätschernd. Minutenlang.

* erster Stock

21. Juli 2006
take-home-message: ...

"Irgendwann schlägt es in Ironie um."

19. Juli 2006
fremde Welt: Frau Kaufmann redet nicht mehr

Frau Kaufmann liegt im Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Gleich würde ihre Tochter zu Besuch kommen, wie jeden Samstag Nachmittag.
Frau Kaufmann verläßt ihre Wohnung nicht. Nie. Ihr Blick fällt auf die Pflanze in der Zimmerecke. Schnell schaut sie wieder zur Seite, auf das Bücherregal mit den ledernen Rücken der „Reader‘s Digest“- Auswahlbücher.
Täglich kommt der Sozialdienst der Kirche zu ihr, und jeden Samstag ihre Tochter, um Lebensmittel zu bringen. Und ein bißchen zu reden. Doch Frau Kaufmann antwortet nicht. Nie. Einige Zeit dachten sie, Frau Kaufmann wäre etwas seltsam geworden, das Alter eben. Doch ihr Schweigen hielt an, und mittlerweile halten alle sie für verrückt.
Frau Kaufmann weiß das, und sie weiß, dass sie sich irren. Denn schließlich hat sie Gründe für ihr Schweigen.

Es war ein Sonntag im April, an dem ihre Tochter ihr diese Pflanze schenkte. Gegen die Einsamkeit, wie sie sagte. Eine große Pflanze in einem großen Topf, die aussah wie ein Quadratmeter Dschungel. Dunkelgrüne, fleischige Blätter, die an behaarten lianenartigen Ranken wuchsen und sich um einen dicken Stock wanden. Eine einzige Blüte saß in der Baumkrone dieses Miniatur-Dschungels. Das Innere der Blüte war groß wie ein Katzengesicht, umgeben von violetten Blütenblättern.
Gefällt sie dir, fragte ihre Tochter. Frau Kaufmann nickte. Die Pflanze war ihr auf den ersten Blick unheimlich.
Ich glaube, hier passt sie gut hin, sagte die Tochter. Schau mal, wie gut die Blätter zum Muster deiner Tapete passen. Sie stellte die Pflanze auf die roten Kacheln des schmiedeeisernen Blumenhockers, zwischen den kleinen Tisch mit dem Telefon und die Stehlampe. Es dämmerte bereits, und das trübe Licht, das unter den Trotteln des Lampenschirms hervor schien, spiegelte sich auf den dunkelgrünen Blättern der Pflanze.

Es klopft an der Tür, und dann dreht sich der Schlüssel im Schloß. Frau Kaufmanns Blick huscht zur Pflanze, die still in ihrem Topf sitzt und sich nicht rührt, und dann zur Tür. Ihre Tochter kommt herein, mit einer Papiertüte von Edeka im Arm. Hallo Mutti, sagt sie und kommt zu ihr ans Bett. Im Vorbeigehen streift sie ein Blatt der Pflanze, die feinen Härchen kratzen über ihre Windjacke. Frau Kaufmann zuckt zusammen. Das hatte die Pflanze noch nie getan.

Damals war Frau Kaufmann mitten in der Nacht aufgewacht. Es war stürmisch, und das Licht der Straßenlaterne fiel in ihr Fenster. Die Schatten der Zweige der Buche, die vor dem Haus stand, zuckten über ihre Tapete. Sie schaute in die Zimmerecke zu der Pflanze. Und erschrak. Die Pflanze bewegte sich. Entfaltete sich. Nahm plötzlich die ganze Ecke des Zimmers ein. Wand sich um die Stehlampe. Und kam näher. Der Weg zur Tür war bereits abgeschnitten. Frau Kaufmann zitterte. Langsam stand sie auf, ohne in ihre Pantoffeln zu schlüpfen. Sie ging vorsichtig zum Telefon und nahm den Hörer von der Gabel. Das ferne Tuten beruhigte sie etwas. Doch als sie die erste Ziffer der Telefonnummer ihrer Tochter wählte, und die Wählscheibe surrend zurückschnellte, hörte sie ein Rascheln. Zwei dicke Blätter patschten auf die Gabel, und als sich Frau Kaufmann umdrehte, blickte sie direkt in das Gesicht der Blume. Die violetten Blütenblätter waren drohend aufgestellt, das dunkle Innere der Blüte schimmerte harzig-feucht. Die Pflanze schüttelte leicht ihren Kopf. Ein scharfkantiges Blatt berührte seitlich den Hals von Frau Kaufmann und zuckte leicht im Takt der Halsschlagader. Frau Kaufmann begriff. Sie legte den Hörer vorsichtig wieder auf die Gabel. Das Blatt löste sich von ihrem Hals, und Schritt für Schritt ging sie rückwärts, bis sie an ihr Bett stieß. Erst, als sie wieder unter der Decke lag, wandte die Pflanze sich ab. Zwei Lianen näherten sich dem Kühlschrank und öffneten ihn. Eine Lache kaltes Licht ergoß sich auf den Linoleumboden der Küchenzeile. Die Pflanze bediente sich am Kochschinken und dem Räucherspeck. Dann zog sie sich zurück in ihren Topf, ohne die Kühlschranktür wieder zu schließen. Und blickte Frau Kaufmann an. Und Frau Kaufmann begriff wieder.

Mutti, ich versteh nicht, warum du so dürr bist, wo du doch immer diesen fetten Speck ißt, sagt ihre Tochter, während sie die Einkäufe in den Kühlschrank räumt. Und du vergisst immer wieder, den Kühlschrank ganz zuzumachen. Frau Kaufmann sieht ihre Tochter an und sagt nichts. Ihre Tochter nimmt die Gießkanne und wässert die Pflanze.
Tut mir leid, Mutti, ich hab es heute eilig, ich muss gleich weiter, aber nächste Woche hab ich mehr Zeit, wirklich. Sie steht schon wieder in der Tür, dreht sich aber noch einmal um: Wenn ich die Pflanze nicht jede Woche gießen würde, wäre sie schon längst eingegangen. Magst du meine Blume etwa doch nicht? Frau Kaufmann will etwas sagen, doch die Pflanze legt drohend ein Blatt vor ihr Blumengesicht. Und Frau Kaufmann bleibt stumm. Ihre Tochter zuckt mit den Schultern und zieht die Tür ins Schloss.

15. Juli 2006
berlin: "Dreams Are My Reality."

dreamland

23. Juni 2006
take-home-message: "Respect the ship - no tags please."

Stubnitz

8. Juni 2006
berlin: pankulturelle problematik

"Ey, ich schwör, genau das sagt dirn Mädschen, wenn sie dirn krassen Korb gibt!"
Ich gehe langsamer, um dem Gespräch der Neuköllner Kids hinter mir zu lauschen.
"Ey, genauso isses, ey!"
Eine gekickte Dose scheppert über das Pflaster.
"Ey, immer komm die mit dem Text, unsere Freundschaft is mir wichtiger!"
"Ja, Scheisse, ey..."
Und wieder scheppert die Dose.

16. Mai 2006
fremde Welt: Muttertag

"Sag mal, hast du eigentlich mal wieder was von Mara oder Beate gehört?
Nein?
Was meinst du, welche Frage soll ich jetzt ruhig stellen?!
Nein, das wollte ich jetzt gar nicht fragen, aber wenn du das schon ansprichst, dann sag doch mal: Hast du wieder ein Mädchen kennengelernt? Hast du eine kleine Freundin*?
Was gibt es denn da jetzt zu lachen?! Das wär doch ganz natürlich!
Auf was achtest du denn bei Mädchen? Auf die Ausstrahlung? Auf Charme? Auf...
Holz vor der Hütte, was soll denn das jetzt!
Also, ich glaube ja, du achtest nicht so auf Äußerlichkeiten. Also, ich meine, Mara und Beate waren jetzt nicht direkt häßlich, aber eben auch nicht so...
Du sagst ja gar nichts mehr? Also, lass dir von deiner alten Mutter gesagt sein, Humor ist das Wichtigste beim Kennenlernen!"

Humor ist überhaupt das Wichtigste, denke ich.

* In dem Tonfall, der eigentlich für ihre Kommunikation mit kleinen Kindern, Haustieren, Senioren oder geistig Behinderten mental anders Begabten reserviert ist.

30. April 2006
berlin: Scheinkräfte

„Ich hab doch gesagt, lass uns Bier von zu Hause mitnehmen!“ Der Kollege ist sauer.
Die Verni- und Finnissage-Gastgeber haben das Sterni für Urbane-Penner-freundliche 50 Cent verramscht, und als wir eintreffen, ist schon ziemlich Ebbe. Wir teilen uns das letzte Bier, aber das reicht nicht. Weiter Richtung Tankstelle, mit Zwischenstopp auf dem Kinderspielplatz. Das Karussell läßt sich richtig auf Touren bringen. Ich bin begeistert: „Wenn wir uns schnell genug drehen, können wir in der Zeit zurückreisen!"
„Ja, und dann nehmen wir Bier von zu Hause mit.“ Der Kollege ist nachtragend.

27. April 2006
fremde Welt: Die Liebe ihres Lebens

Frau Kaufmann schwimmt mit kräftigen Zügen auf die Boje zu. Die Sonne hat den Zenit überschritten und spiegelt sich in den Wellen. Sie blickt sich kurz um und sieht zu Klaus. Er steht am Strand, den Fotoapparat um den Hals, und winkt ihr langsam zu. Sie winkt zurück und schwimmt weiter. Sie nimmt sich vor, nicht eher zurückzublicken, bis sie die grünweiße Boje erreicht hätte.
Frau Kaufmann ist glücklich. Sie ist keine Schönheit, findet sie.
Doch sie war immer zuversichtlich. Eines Tages würde der Richtige schon kommen. Der Richtige, für die sie genau die Richtige war.
Sie zupft mit der rechten Hand die rote Badekappe zurecht, ein Geschenk von Klaus, und schwimmt weiter.
Ihre Geduld hatte sich endlich ausgezahlt. Die Jahre, die sie an ihrem Schreibtisch saß und die Lohnpfändungsakten der Bundesbahn-Gleisarbeiter bearbeitete. Es war an ihrem 20jährigen Dienstjubiläum, als sie Klaus kennenlernte. Sie hatte die Kolleginnen und Kollegen zu Umtrunk in ihr Büro gebeten. Es gab Kupferberg Gold, dazu Schokocrossies und Salzgebäck. Und da sah sie zum ersten Mal ihren neuen Kollegen. Als er ihr über sein Sektglas hinweg zulächelte, dachte sie zunächst, er müsse jemand anderen meinen. Doch rechts neben ihr stand nur die Birkenfeige, links der Aktenschrank, und hinter ihr war nur die Wand. Schließlich lächelte sie zurück und prostete ihm zu. Klaus hob sein Glas, lächelte wieder und kam auf sie zu.
Frau Kaufmann kümmerte sich nicht um das Getuschel ihrer Kolleginnen, und neun Wochen später saß sie mit Klaus im Flieger, zwei Wochen Spanien mit Halbpension, ihr erster Urlaub seit Jahren. Die Ferien mit Klaus war fantastisch. Die kleinen Unstimmigkeitenn fielen ihr erst im Nachhinein auf. Dass Klaus immer so schweigsam war. Und dass Klaus immer schnell verschwunden war, wenn es ums Bezahlen ging.
Die grünweiße Boje ist nicht mehr weit entfernt. Frau Kaufmann denkt, dass sie mit hundert Zügen die Boje erreichen könnte.
Klaus fotografiert viel, und Frau Kaufmann fühlt sich geschmeichelt, wenn er sie als Motiv wählt. Und so fand sie auch gar nicht seltsam, dass Klaus ihr den Vorschlag machte, sie im Meer zu fotografieren. Wie sie ihm von der grün-weißen Boje aus zuwinkt. "Aber die Boje ist doch so weit vom Ufer entfernt, da erkennst du mich ja gar nicht", wandte sie ein. "Ich erkenne dich ganz sicher, mein Schatz", sagte Klaus, "wenn du die rote Badekappe trägst, das wird ein wundervolles Foto, diese wundervollen Farben." Er lächelte und küsste sie. Und Frau Kaufmann war glücklich.
Jetzt erreicht sie die Boje, es waren doch mehr als 100 Schwimmzüge, sie hält sich an ihr fest, zupft noch einmal die rote Badekappe zurecht, setzt ihr Lächeln auf, obwohl die Entfernung zum Strand viel zu groß ist, als dass Klaus ihr Lächeln erkennen könnte, und dreht sich dann zum Ufer, um ihm zuzuwinken. Der Strand ist fast menschenleer, sie erkennt den Liegestuhlvermieter, den Eisverkäufer, das alte Ehepaar aus Zimmer 603 – doch Klaus sieht sie nirgends.
Ohne Auszuruhen schwimmt Frau Kaufmann zurück. Sie erreicht den Strand nach einer halben Stunde und ist ausser Atem, sie zittert. Am Strand ist Klaus nicht, sie läuft zum Hotel, in ihr Zimmer. Sein Gepäck ist nicht mehr dort, und auch ihr Bargeld fehlt und ihre Kreditkarte und die Halskette mit dem Rubinanhänger, ein Erbstück ihrer Großmutter.

26. April 2006
berlin: Raumpatrouille

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