18. März 2007
fremde Welt: Michaela sagt sie kann Sonntage nicht leiden

Gemeinsam stehen sie am Waschbecken und schrubben die Fingernägel. Der Chef stellt die Eieruhr, dann verreiben sie den blauen Alkohol auf Händen und Unterarmen.
"Junge", so spricht der Chef jeden seiner OP-Helfer an.
Der Chef hat Unterarme wie ein Pferdeschlachter, einen Bart wie ein polnischer Gewerkschaftsführer und braune tote Augen. Er hat in seiner Karriere drei chirurgische Verfahren entwickelt, die seinen Namen tragen. Eins davon ist genial einfach, er war der erste, der es wagte. Vorschulkinder hätten auf die Idee kommen können.
Nun sieht er zu, wie seine Klinik den Bach runtergeht. Die letzten Jahre bis zur Rente verbringt er damit, im Akkord geriatrischen Patienten neue Hüftgelenke einzusetzten.
"Junge, ich beneide euch nicht", sagt er. Dann schrillt die Uhr, und sie gehen in den Saal.
Der Junge benötigt Hilfe mit dem Kittel.
"Könn sie sich immer noch nicht allein anziehen!"
Die Drachenschwester hat Dienst. Die mit dem kalten, blauen Blick aus kajalunterstrichenen Augen. Die jede Gelegenheit nutzt, den Nachwuchs anzufauchen. Gerne auf der persönlichen Ebene.
"Sie stehn hier nur so ungeschickt rum! Sie sind bestimmt Einzelkind!"
Der Junge tut so, als würde es ihn nicht treffen. Um ihr die Genugtuung vorzuenthalten. Das provoziert sie.
Und sie erzählt gerne von sich. Das Anästhesie-Team auf der anderen Seite der Blut-Hirn-Schranke muss die Kaufhausklassik ertragen, die sich die teilnarkotisierten Patienten immer als Beschallung wünschen - der Chef und der Junge die geballte Lebensweisheit der Drachenschwester, die nur von dem Schlürfen des Saugers und knappen Anweisungen unterbrochen wird.
"Junge, hier. Junge, Strom."
Eine Männergeschichte wird gerade abgeschlossen mit der Moral: "Das Gute mit 35 ist ja, dass man weiss, was man will und was nicht."
Der Chef hebt kurz den Blick vom OP-Feld: "Vor allem weiss man mit 35, was man kriegt und was nicht. Langenbeck-Haken. Junge, hier."
Dann ist erstmal Ruhe.

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