11. Oktober 2006
denkblase: Bamberg am Meer

Das Landungsboot spuckt uns frühmorgens an den schmutziggrauen Strand. Ich schultere mein klammes Gepäck und blicke mich um. Die vier anderen zivilen Passagiere sind verschwunden. Kinder, die auf dem Affenfelsen spielen, sehen mich und stürzen sich auf mich. No money, no money, rufe ich und halte mein Portemonnaie fest.
No money sage ich auch zu der Frau und lasse mich doch von ihr in ein wartendes Taxi bugsieren und zu einem Hotel bringen.
Sie spricht englisch.
Die Kellner fegen braune Blütenblätter von der schwarzen Auslegware, unterbrechen aber sofort ihre Arbeit und machen uns ehrfürchtig Platz. Die Frau richtet ein paar Worte, die ich nicht verstehe, an einen Mann in braunem Anzug. Er geht mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich zu, und ich strecke ebenfalls meinen Zeigefinger. Als sich unsere Fingerspitzen berühren, zuckt er zurück, zischend wie eine Schlange. Dass ich ihn mit dieser Geste tödlich beleidigt habe, erfahre ich erst später in der Powerpointpräsentation für neue Gäste.
Man serviert mir ein leichtes Frühstück mit Gurke. Die Frau legt ihre faltige Hand auf meine Schulter und lächelt mich an. Ihr Lächeln ist mir unangenehm. Sie sagt, ich könne bleiben, wenn ich wolle.
Ich sehe ich mir die Stadt an. Graue Häuser aus Granitbrocken, quadratischer Grundriss. Keine Dächer, statt dessen akkurat gestutzte Äste der Bäume, die aus der Mitte der Häuser wachsen. Kahle Äste ohne Blätter.
An der Strandpromenade Hochhäuser: Betonfassaden und braune Rauchglasdächer wie Plattenspielerdeckel. Hier wurden irgendwann in den Siebzigern die olympischen Sommerspiele ausgetragen, fällt mir ein.
Meine Finger berühren fremde Finger, die sich ebenfalls um die Griffstange des Busses winden. Das rote Gesicht einer Frau, eine randlose, schmale Brille, ihr Blumenkleid spannt. Mitte vierzig, schätze ich. Auf ihrem Namensschild steht Praktikantin Projektforschung BASF.
Ich steige an der betonierten Strandpromenade aus. Die Kinder von heute früh sind verschwunden. Plötzlich tauchen Touristen auf, eine ganze Reisegruppe umschwärmt mich, boring country, but there is one city with university, Bamberg, schnappe ich auf, blicke irritiert und werde auf deutsch angesprochen.
Ans Wasser. Die Hochhäuser im Rücken, der graue Himmel ein toter AV-Kanal, die See wie Öl. Ich blicke zum Horizont, erkenne im Dunst die Kürbisinsel Hokkaido, von der ich gestern aufgebrochen bin.
Das Weltreisegefühl stellt sich einfach nicht ein, immer noch nicht, denke ich traurig. Und Ecuador hatte ich mir ganz anders vorgestellt.
(Aufgew.)

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