2. Januar 2007
fremde Welt: Frühkindliche Prägung

Die Schranktür knirscht, und zwischen den Rücken von Fotoalben und Sehnsucht-nach-Afrika-Taschenbüchern steht eine Ringbindung hervor, die mir sehr vertraut vorkommt.
Bei jedem Besuch habe ich danach gesucht, es aber nie gefunden. Die alte Buchhändlerin wusste gleich, welches Buch ich meine. Doch die letzte Auflage ist längst vergriffen, eine neue nicht geplant. Bei Ebay unauffindbar, über das ZVAB unerschwinglich. Also bei jedem Elternbesuch der Blick in Kellerschränke. Und jetzt entdecke ich es an einem Platz, an dem es mir sofort hätte auffallen müssen.
Nein, es geht nicht um Nostalgie. Ich habe weder Janosch im Regal noch Traumfänger an der Lampe, und Den Kleinen Prinzen (tm) habe ich nie gelesen. Ich erinnere mich nur noch vage an das Kinderbuch, ich konnte noch nicht lesen, ich weiss aber genau, wie sehr das Buch mich beeindruckt hat. Und jetzt will ich wissen, warum.
Die Seiten biggn a bisserl zama und riechen tun sie wie das ungeheizte Gästegiebelzimmer, die kalten Deckenberge, die Waschküche im Keller, die dicken Teppiche, mit Kaktusstacheln gespickt, der träge fließende Fluss hinter dem Haus.
Ich dachte damals, es müsse dort Berge geben, aber es waren allenfalls Hügel. Backsteintürme gab es immerhin und sogar eine Burg, die erkenne ich jetzt auf den Seiten des Buchs wieder.
Dort lebt der reiche Prinz, und er heiratet die schöne Prinzessin aus dem fernen Polenlande. Es gibt ein großes Fest mit Turnierkämpfen und Ringelstechen, von dem landauf und landab und noch lange Zeit gesprochen wird.
Doch nach vielen Jahren, es ist Herbst, die Zugvögel scharen sich zusammen und das Tal liegt im Nebel, da hört die Prinzessin eine Laute. Sie öffnet das Turmfenster, blickt hinaus und erkennt den Lautenspieler vom Hofe ihres Vaters wieder, der ihr das Lautenspielen beibrachte und der den Blick nicht von ihr lassen konnte, und er steht unter ihrem Fenster und spielt und singt:
„Du von allen hast mir gefallen.“
Wenn das mein Therapeut erfährt.

duvonallenhastmirgefallen
Saskia - 3. Jan, 08:42

Jaul... Wer hätte gedacht, dass es möglich ist, eine wahrhaft berührende Geschichte von einer Prinzessin zu schreiben.

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